Folge 2:
CE-Kennzeichnung, Leistungs- und Konformitätserklärung (DoPC)
Die in der Leistungserklärung deklarierte Leistung des Produkts in Bezug auf die Wesentlichen Merkmale wird nun nicht mehr in der CE-Kennzeichnung wiederholt. Der eindeutige Kenncode des Produkttyps und die Leistungserklärungsnummer können durch einen permanenten Link bzw. QR-Code ersetzt werden. Allein diese lang geforderten Vereinfachungen für Wirtschaftsakteure und Behörden sollten Grund genug sein, die neue Verordnung zu begrüßen. Keine Rede mehr von der Bereitstellung der DoP in Papierform. Diese wird übrigens durch die neue Leistungs- und Konformitätserklärung (DoPC) gemäß Anhang V ersetzt. So erfährt die in der BPV abgeschaffte Konformitätserklärung ein Comeback, unter anderem im Dienst der Ökodesignverordnung [5], die eben nicht nur reine Bewertungsmethoden zur Verfügung stellt, sondern für die Öko-Kriterien europaweit einheitliche, konkrete und verpflichtende Leistungsanforderungen stellt. Die Konformität mit diesen wurde bisher in einer separaten Konformitätserklärung parallel zur Leistungserklärung deklariert und wird unter der neuen BPV formal sauber in die zur DoPC erweiterte Leistungserklärung integriert. Aber auch andere EU-Verordnungen, wie die ebenfalls neu erschienene Gebäudeverordnung [6] liefern den Input zur verpflichtenden Deklaration der ökologischen Nachhaltigkeit von Produkten, beispielsweise des GWP (global warming-potential). Die ökologische Nachhaltigkeit wird ausgedrückt durch die anwendbaren Wesentlichen Merkmale der Lebenszyklusmodule gemäß Artikel 15 Absatz 2. Eigens dafür wurde auch das AVCP-System 3+ gemäß Anhang IX geschaffen. Es sieht die Validierung der durch den Hersteller erklärten Nachhaltigkeit durch eine Notifizierte Stelle vor.
Das Kürzel „NPD“ in der Leistungserklärung wird durch „NULL“ ersetzt, vielleicht auch um nochmals klar zu machen, dass in dem Fall keine Leistung erwartet werden darf. Auch die in der BPV gestrichene Chargen- oder Seriennummer begegnet uns jetzt in der Leistungserklärung wieder, versehen mit dem etwas unklaren Zusatz „soweit verfügbar“.
Die Aufgaben, Rechte und Pflichten der Wirtschaftsakteure bilden einen Fokus der neuen Bauproduktenverordnung. Das Kapitel wird umgruppiert, erweitert und mit EU-Verordnungen anderer Sektoren sowie der Produktsicherheitsverordnung [7] und der Marktüberwachungsverordnung [4] abgestimmt. Insbesondere der Onlinehandel und Hersteller außerhalb der Union werden dabei berücksichtigt. Online-Marktplätze und Fulfillment-Dienstleister erhalten gemäß Artikel 28 die Pflichten von Wirtschaftsakteuren. Für Händler, Bevollmächtigte und Importeure ändern sich die bereits bestehenden Pflichten nicht wesentlich. In die Herstellerpflichten gemäß Artikel 22 werden bereits bestehende Aufgaben aus anderen Artikeln der alten BPV aufgenommen, beispielsweise die Erstellung von CE-Kennzeichnung und Leistungserklärung. Bemerkenswert und neu ist, dass auch Rechte der Hersteller ausdrücklich festgelegt sind. Besonderer Wert wird auf die lückenlosen Kontaktdaten aller Wirtschaftsakteure gelegt, ein Firmenlogo genügt nicht. Und zwar nicht nur in der Leistungs- und Konformitätserklärung, sondern auch in der allgemeinen Produktinformation, Gebrauchsanweisung und Sicherheitsinformation. Der Inhalt dieser Dokumente ist nun durch eine Definition gemäß Anhang IV vorgegeben und enthält durchaus spannende Informationen, wie die bisher nie thematisierte Lebensdauer eines Bauprodukts oder dessen Reparatur, Rückbau oder Demontage. Die Sicherheitsinformationen schließen die sichere Demontage und die erforderliche Wartung während der Lebensdauer ein.
Wie ein roter Faden zieht sich die Berücksichtigung gebrauchter und wiederaufbereiteter Bauprodukte durch die neue BPV, obwohl noch nicht wirklich klar ist, in welcher Form dies funktionieren kann. Das Produkt auf dem Markt bereitzustellen und einbauen zu dürfen ist die eine Seite, ebenso wichtig ist aber die Verantwortung für die Leistung des Produkts. Es ist noch nicht absehbar, wer letztlich bereit ist diese zu übernehmen.
Auch das Verfahren des 3-D-Drucks von Bauwerken wird auffällig oft in der neuen Verordnung erwähnt und die Datensätze in die Produktdefinition integriert gesehen. Hier versucht die Verordnung Schritt mit neuen Entwicklungen zu halten. Letztlich wird sie aber immer wieder neuen Entwicklungen mit ihren generischen Verfahren gerecht werden müssen, will sie erfolgreich sein. Und es spricht nichts dagegen, dass sie dazu in der Lage ist.
Der „Acquis-Prozess“: Starthilfe für die Normierung
Artikel 4 bildet die Rechtsgrundlage des sogenannten Acquis-Prozesses (gesprochen: „aki“), einen Arbeitsplan zur gemeinsamen Erarbeitung rechtlich einwandfreier harmonisierter technischer Spezifikationen für Bauprodukte unter der neuen Verordnung. Dazu gehören die für die Ziele der Union in den Bereichen Sicherheit, Umwelt, Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz nötigen technischen Aspekte und Erweiterungen.
Auch wenn diese Mammutaufgabe unter Beteiligung von Kommission, Mitgliedstaaten, Normierung und Interessensverbänden bereits begonnen wurde, um wirksam zu werden, bedarf sie der neuen Verordnung. Und Scheitern ist nicht erlaubt bei der Überwindung des jahrelangen Totalstillstands in der Kundmachung harmonisierter Normen. Entsprechend ist weder eine rasche Vollendung dieses Vorhabens zu erwarten, noch dass es sich im Sand verläuft. Nationale Bestimmungen und Regelwerke, wie beispielsweise die österreichischen Baustofflisten, werden an die neuen EU-Normen anzupassen sein.
Zudem wird der Kommission die Befugnis übertragen, Rechtsakte unter anderem über die wesentlichen Umweltmerkmale und die in Anhang VII angeführten Produktfamilien zu erlassen sowie in bestimmten Fällen Wesentliche Merkmale und deren Bewertungsmethoden festzulegen.
ETA-/EAD-Verfahren
 Die in Anhang VI festgelegten Verfahren zur Erstellung von EADs und ETAs wurden überarbeitet und rein formal gelten EADs nun nicht mehr als „harmonisierte technische Spezifikationen“, da sie nicht Teil der sogenannten „Harmonisierten Zone“ sind. Damit ist der von harmonisierten Leistungsnormen oder entsprechenden Rechtsakten umfasste Bereich CE-kennzeichnungspflichtiger Bauprodukte gemeint. Große Auswirkungen werden in der Praxis aber andere Neuerungen haben: Wurde ein EAD bislang von Hersteller und TAB-Stelle gemeinsam, aber unter Vertraulichkeit ausgearbeitet und damit gleichzeitig eine ETA erstellt, noch bevor das EAD kundgemacht wurde, so ist es künftig genau umgekehrt: Erst wird ein EAD in einem transparenten, von außen einsehbarem Prozess erstellt und erst nach der Kundmachung des EADs im Amtsblatt können ETAs zu diesem EAD erstellt werden. Damit reduziert sich der Vorteil der EAD-Erstellung als Anreiz für Hersteller, diesen Aufwand auf sich zu nehmen. Eine weitere Einschränkung ist, dass EADs nun nach zehn Jahren ihre Gültigkeit verlieren und überarbeitet werden müssen, ETAs zu diesen EADs gelten danach weitere fünf Jahre. Da EADs und ETAs die Basis für die DoPC und die allgemeine Produkt- und Sicherheitsinformationen bilden, muss auch all dies berücksichtigt werden. Für bestehende EADs und ETAs, die noch nicht nach diesen Regeln erstellt wurden, gelten nach Inkrafttreten der neuen Verordnung relativ anspruchsvolle Fristen für die Überarbeitung.
Resümee: Facelift, Nachfolgemodell, Powertuning?
Von einer kosmetischen Überarbeitung kann keine Rede sein, auch wenn viele Details nachgebessert wurden, beispielsweise, dass auch die „direkte Montage“ durch den Wirtschaftsakteur eine CE-Kennzeichnung erfordert.
Die neue BPV verfolgt ambitionierte Ziele mit einer Kombination strategisch aufeinander abgestimmter Elemente, die das Regelwerk durchziehen und ihm in den neuen Bereichen eine deutlich höhere Komplexität verleihen, als die puristische, ja geradezu asketische, bisherige Verordnung je erreichte. Umso genialer erscheint der Ansatz, die alte Basisverordnung nahezu unangetastet fortleben zu lassen und das üppige Zusatzpaket an Nachhaltigkeitsextras modular draufzusetzen. Wie das in der Praxis gelingt, wird sich zeigen. Es ist damit zu rechnen, dass Sonderfälle, Kombinationen und Variationen auftauchen werden, deren Beantwortung jetzt noch nicht absehbar ist. Das Konzept erscheint durchdacht und stimmig, wie praxisorientiert werden wir sehen. Hersteller, die eine ETA bzw. ein EAD am OIB erstellt haben, sollten sich darauf einstellen, dass mit der neuen Verordnung Handlungsbedarf auf sie zukommt und dies mit dem zuständigen Referat abklären. Auf jeden Fall wird die neue Bauproduktenverordnung eine Herausforderung für alle Beteiligten: Bewertungsstellen und Wirtschaftsakteure, EU-Kommission und EOTA, und auch für Referate, Produktinfostelle und Marktüberwachung des Österreichischen Instituts für Bautechnik.
Literaturverzeichnis
[1] Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschrif¬ten der Mitgliedstaaten über Bauprodukte (89/106/EWG), veröffentlicht im ABl. L 40 vom 11. Februar 1989, S. 12.
[2] Verordnung (EU) Nr. 305/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten und zur Aufhebung der Richtlinie 89/106/EWG des Rates, veröffentlicht im ABl. L 88 vom 4. April 2011, S. 5.
[3] P9_TA(2024)0188: Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. April 2024 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europä¬ischen Parlaments und des Rates zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten, zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/1020 und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 305/2011 (COM(2022)0144 – C9-0129/2022 – 2022/0094(COD)).
[4] Verordnung (EU) 2019/1020 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über Marktüberwachung und Konformität von Produkten sowie zur Änderung der Richtlinie 2004/42/EG und der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 und (EU) Nr. 305/2011, veröffentlicht im ABl. L 169 vom 25. Juni 2019, S. 1.
[5] Verordnung (EU) 2024/1781 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juni 2024 zur Schaffung eines Rahmens für die Festlegung von Ökodesign-Anforderungen für nachhaltige Pro¬dukte, zur Änderung der Richtlinie (EU) 2020/1828 und der Verordnung (EU) 2023/1542 und zur Aufhe¬bung der Richtlinie 2009/125/EG, veröffentlicht im ABl. Reihe L vom 28. Juni 2024.
[6] Richtlinie (EU) 2024/1275 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. April 2024 über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (Neufas¬sung), veröffentlicht im ABl. der Reihe L vom 8. Mai 2024, S. 1.
[7] Verordnung (EU) 2023/988 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Mai 2023 über die allgemeine Produktsicherheit, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie (EU) 2020/1828 des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2001/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 87/357/EWG des Rates, veröffentlicht im ABl. L 135 vom 23. Mai 2023, S. 1.